Gezerre um Milliardenhilfen
"Griechenland ist schon pleite"Kann Athen den Staatsbankrott noch abwenden? Im Grunde sei der bereits eingetreten, sagt Hans-Werner Sinn. Ein Schuldenschnitt sei unvermeidlich. Mit dem Ökonomen sprach n-tv.de über die Drachme, die Nothilfen der EZB - und über Kapitalflucht.
n-tv.de: Die Eurozone und Griechenland versuchen gerade, Griechenland vor der Pleite zu retten. Wird ihnen das noch gelingen?
Hans-Werner Sinn: Griechenland ist im Grunde schon pleite. Es findet seit Jahren keine privaten ausländischen Kreditgeber mehr. Die Kredite der öffentlichen Gläubiger können den Konkurs nur verschleppen. Wie sinnvoll das ist, ist eine andere Frage.
Griechenland und seine Banken werden durch die ELA genannte Nothilfe der Europäischen Zentralbank vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrt. Wie sinnvoll ist das?
Diese Kredite sind dafür da, Banken zu helfen, die vorübergehend ein Liquiditätsproblem haben. In der jetzigen Form gehen sie weit darüber hinaus. Ein Teil des Geldes wird von den griechischen Banken dazu verwendet, kurzlaufende griechische Staatsanleihen zu kaufen. Aus rechtlicher Sicht ist das sehr problematisch. In der Theorie laufen die ELA-Kredite auf das Risiko der griechischen Notenbank. Die hat aber nur eine Haftungsmasse, die für 41 Milliarden Euro an ELA-Krediten reicht. Demgegenüber beläuft sich das Volumen der ELA-Hilfen bereits auf rund 83 Milliarden Euro.
Stärkt das nicht die griechische Verhandlungsposition im Poker mit der Eurozone?
Ja, so ist es. Durch die ELA-Hilfen und andere Refinanzierungskredite des Notenbanksystems dürfte sich Griechenland bis Ende Mai circa 145 Milliarden Euro an Euro-Geld gedruckt haben, wovon etwa 115 Milliarden Euro über das Normalmaß hinausgehen und zu entsprechenden Verbindlichkeiten gegenüber dem Eurosystem geführt haben. Dieses Geld findet sich entweder als Bargeld in Griechenland - oder es ist überwiesen worden ins Ausland. Dort liegt es auf Konten oder ist investiert worden, etwa in ausländische Wertpapiere oder in Immobilien Wenn Griechenland die Eurozone verlässt, dann ist die griechische Notenbank nicht in der Lage, die aus den Überweisungen resultierenden Verpflichtungen gegenüber dem Rest des Eurosystems zu erfüllen. Insofern verbessert Griechenland tatsächlich seine Verhandlungsposition durch diese unter anderem durch ELA-Kredite finanzierte Kapitalflucht.
Sie fordern, dass Griechenland den Euro verlässt und zu einer eigenen Währung zurückkehrt. Aber damit bleiben die fundamentalen Probleme Griechenlands wie Bürokratie, Klientelismus oder unflexibler Arbeitsmarkt doch ungelöst – egal, wie die Währung heißt.
Griechenland ist wegen dieser Probleme unproduktiv. Wenn das Lohnniveau hinreichend niedrig ist, kann das Land dennoch wettbewerbsfähig sein. Schwierig wird es, wenn der Lebensstandard so hoch sein soll wie anderswo und das nicht durch die eigene Produktivität gedeckt ist. Dann ist man zu teuer, und man ist nicht wettbewerbsfähig. Natürlich wäre es für Griechenland sinnvoll, die Produktivitätsprobleme, die auch im öffentlichen Sektor, in der schlechten Verwaltung und dem mangelhaften Rechtssystem liegen, zu lösen. Ob das gelingen kann, daran habe ich meine Zweifel.
Geld basiert auf Vertrauen. Kann die griechische Regierung für das nötige Vertrauen in eine eigene Währung sorgen?
Die neue Währung hätte nicht viel Vertrauen, natürlich nicht. Und deswegen würde sie auch stark abwerten. Aber genau das ist etwas, was paradoxerweise die Wirtschaft in Schwung bringt.
Sie argumentieren: Die Exporte würden dann billiger und das Land als Urlaubsland attraktiver werden. Außerdem würde das sinkende Preis- und Lohnniveau Investoren anlocken. Doch sind die plötzlich massive Inflation und die damit verbundenen sozialen und politischen Folgen nicht ein zu großes Risiko?
Vor allem würden die Importe teurer, was die griechische Bevölkerung veranlassen würde, wieder heimische Ware statt der Importware zu kaufen. Das ist der Haupteffekt. Aber bis das zu neuen Arbeitsplätzen führt, werden ein bis zwei Jahre vergehen. Deshalb muss die Staatengemeinschaft Griechenland weiter helfen und etwa den Import von sensiblen Gütern wie Medikamenten oder Energie mitfinanzieren. Dem Nachteil der teurer werdenden Importe steht im Übrigen der Vorteil neuer Arbeitsplätze gegenüber. Per Saldo wird dies die griechische Gesellschaft stabilisieren.
Das bedeutet aber auch: massive Einkommens- und Vermögensverluste für die Griechen.
Die Griechen haben schon sehr viel Geld ins Ausland transferiert. Das ist gegen den Umtausch in Drachmen geschützt. Natürlich werden Häuserpreise, Kreditforderungen oder Sparguthaben abgewertet. Aber umgekehrt werten die Schulden genauso ab.
Und die Schulden im Ausland müssten mit einer schwachen Währung bedient werden …
Im Euro kann Griechenland seine Schulden nicht bezahlen, denn es ist nicht wettbewerbsfähig. Wenn Griechenland austritt und abwertet, werden zwar diese Außenschulden relativ zu dem abgewerteten Sozialprodukt größer. Das ist aber nur ein optischer Eindruck. In Wahrheit ist der Austritt die einzige Chance, Handelsbilanzüberschüsse zu erwirtschaften. Und das ist ja wiederum das Potenzial, mit dem man wenigstens einen Teil der Schulden im Ausland zurückzahlen kann. Um einen Schuldenschnitt zugunsten von Griechenland kommt man aber so oder so nicht herum.
Mit Hans-Werner Sinn sprach Jan Gänger
Quelle:
http://www.n-tv.de/wirtschaft/Griechenl ... 07571.html